Wir schaffen das“ – dieser Satz, ausgesprochen von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Sommer 2015, hat sich tief in das kollektive Gedächtnis Deutschlands eingebrannt. Was ursprünglich als Aufruf zur Zuversicht inmitten einer humanitären Krise gedacht war, entwickelte sich rasch zum Synonym für politische Spaltung, gesellschaftliche Diskussionen und eine neu definierte deutsche Selbstwahrnehmung. Doch was steckt wirklich hinter dem Satz „Wir schaffen das“ – und welche Bedeutung hat er heute?

Ursprung eines historischen Satzes

Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015, als hunderttausende Menschen vor Krieg und Not insbesondere aus Syrien nach Europa flohen, entschied sich Deutschland, seine Grenzen für viele dieser Geflüchteten offen zu halten. Angela Merkel äußerte am 31. August 2015 bei einer Pressekonferenz den inzwischen legendären Satz: „Wir schaffen das.“

Diese Worte sollten Mut machen, Zuversicht vermitteln und die deutsche Gesellschaft auf eine herausfordernde Zeit vorbereiten. Merkel setzte damit ein Zeichen der Menschlichkeit und der Offenheit – und stellte sich gegen die wachsende Skepsis in Teilen der Bevölkerung und Politik.

Der Satz polarisiert

Schnell zeigte sich jedoch, dass „Wir schaffen das“ nicht nur ein motivierender Leitspruch war, sondern auch zur Projektionsfläche für Kritik, Angst und Wut wurde. Einige sahen darin ein Symbol für Solidarität, Offenheit und Hilfsbereitschaft – andere wiederum fühlten sich von der Politik allein gelassen, überfordert und missverstanden.

Die Polarisierung in der Gesellschaft nahm zu. Rechte Gruppierungen nutzten den Satz, um gegen die Flüchtlingspolitik zu mobilisieren. In sozialen Medien kursierten Karikaturen, Parolen und Hashtags, die „Wir schaffen das“ in Frage stellten oder ins Lächerliche zogen. Gleichzeitig wuchs in weiten Teilen der Bevölkerung das Bedürfnis nach Sicherheit, Kontrolle und einer klareren Linie in der Einwanderungspolitik.

Was wurde tatsächlich geschafft?

Um beurteilen zu können, ob „Wir schaffen das“ mehr als nur ein politisches Schlagwort war, lohnt sich ein Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre.

Integration: Die Integration von Geflüchteten stellte Deutschland vor enorme Herausforderungen – und war zugleich eine der größten gesellschaftlichen Aufgaben seit der Wiedervereinigung. Viele Geflüchtete haben inzwischen Deutsch gelernt, eine Ausbildung begonnen oder einen Arbeitsplatz gefunden. Es gibt zahlreiche Erfolgsgeschichten, die zeigen, dass Integration möglich ist – auch wenn sie Zeit, Geduld und Engagement auf beiden Seiten erfordert.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Trotz aller Schwierigkeiten zeigte sich vielerorts eine beeindruckende Hilfsbereitschaft. Millionen Menschen engagierten sich ehrenamtlich, spendeten Kleidung, organisierten Sprachkurse oder halfen bei Behördengängen. Dieses Engagement war ein Beweis dafür, dass „Wir schaffen das“ nicht nur leere Worte waren, sondern vielerorts tatsächlich gelebt wurden.

Politische Maßnahmen: Auf politischer Ebene wurden Gesetze verschärft, Asylverfahren beschleunigt und Integrationsangebote ausgeweitet. Gleichzeitig kam es zu einer verstärkten Debatte über die Ausrichtung der deutschen Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik.

Der Wandel der Bedeutung

Im Laufe der Jahre hat sich die Bedeutung von „Wir schaffen das“ gewandelt. Was einst als Mutmacher gedacht war, wurde zu einem Prüfstein für die Politik und ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Spaltung. Dennoch bleibt der Satz relevant – nicht nur im Kontext der Flüchtlingskrise, sondern auch in anderen Herausforderungen, wie der Corona-Pandemie oder der Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft.

„Wir schaffen das“ steht inzwischen für mehr als nur eine bestimmte historische Situation. Es symbolisiert die Frage: Wie geht unsere Gesellschaft mit Herausforderungen um? Wie viel Zusammenhalt, Mut und Vertrauen bringen wir auf, wenn es darauf ankommt?

Kritik und Verteidigung

Angela Merkel hat den Satz trotz der heftigen Kritik nie zurückgenommen. Für sie war er Ausdruck einer Grundhaltung: Vertrauen in die Fähigkeit der Gesellschaft, auch schwierige Situationen gemeinsam zu meistern. Kritiker warfen ihr jedoch vor, mit diesem Satz Realitäten zu verkennen oder Probleme zu beschönigen.

Einige Stimmen beklagten auch, dass „Wir schaffen das“ als Appell an die Bevölkerung formuliert wurde, ohne klare politische Strategien zu liefern. Die Belastungen in Kommunen, Schulen oder sozialen Diensten seien vielfach unterschätzt worden.

Was bedeutet „Wir schaffen das“ heute?

Heute – zehn Jahre nach seiner Prägung – hat der Satz nichts an Aktualität verloren. Er erinnert daran, dass Krisen überwunden werden können, wenn es eine gemeinsame Vision und das Engagement vieler gibt. Ob Klimawandel, Digitalisierung oder geopolitische Unsicherheiten: Deutschland steht vor vielen Herausforderungen, die ein neues „Wir schaffen das“ erfordern.

Allerdings braucht es dafür mehr als nur Worte. Es braucht konkrete Maßnahmen, offene Debatten, politische Klarheit und die Bereitschaft, auch unbequeme Wahrheiten anzuerkennen. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik darf nicht durch leere Versprechungen untergraben werden. Vielmehr muss „Wir schaffen das“ mit Leben gefüllt werden – durch transparente Kommunikation, echte Teilhabe und soziale Gerechtigkeit.

Fazit: Zwischen Hoffnung und Realität

„Wir schaffen das“ – dieser Satz bleibt ein starkes Symbol. Er steht für Hoffnung, Zusammenhalt und den Glauben an die eigene Stärke. Gleichzeitig erinnert er auch an die Risiken politischer Vereinfachung und an die Notwendigkeit, Worten auch Taten folgen zu lassen.

In einer Zeit, in der gesellschaftliche Herausforderungen komplexer denn je erscheinen, braucht es Leitbilder, die Mut machen, aber nicht die Realität ausblenden. „Wir schaffen das“ kann ein solcher Leitsatz sein – wenn er verstanden wird als Einladung zur Mitgestaltung, nicht als politische Durchhalteparole.

Deutschland hat viel geschafft – aber nicht alles. Und doch zeigt der Rückblick auf die letzten Jahre: Mit Offenheit, Engagement und einem klaren Blick auf die Realität ist vieles möglich. Wir schaffen das – vielleicht nicht immer sofort, aber gemeinsam.

 

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Last Update: May 22, 2025